15 Jahre spielt Rickey Paulding in Oldenburg, jetzt beendet er seine Karriere. Zum Abschied schenken die Fans dem Basketballer eine einzigartige Choreografie, der Klub feiert den größten Spieler seiner Geschichte. Der erzählt, warum er Deutschland vermissen wird.
Oft sind es die kleinen, vermeintlich zu vernachlässigenden Momente, die herausragende Persönlichkeiten besser beschreiben, als es große Szenen im Scheinwerferlicht je könnten. So ist es auch bei Rickey Paulding. "I'll come back", ruft der 39-Jährige den Kindern und Jugendlichen zu, die im Fanblock sehnsüchtig darauf warten, noch ein Autogramm zu bekommen und ein Erinnerungsfoto zu machen. Und natürlich kommt der Basketball-Profi wenige Minuten später zurück aus der Mannschaftskabine, um auch die letzten Wünsche an diesem einzigartigen, emotionalen Abend zu erfüllen.
Während das Spielfeld um ihn herum schon abgebaut wird, unterschreibt Paulding geduldig Trikots, lächelt freundlich in zahllose Handykameras. Er schnackt, wie sie in Oldenburg sagen, ein bisschen mit denen, die den US-Amerikaner längst einfach nur noch Rickey nennen. Die Stadt haben sie ihm zu Ehren in "Pauldingburg" umbenannt, so steht es auch auf einem übergroßen Graffiti direkt neben der Arena. Zu seinem letzten Heimspiel ist diese erstmals seit Pandemiebeginn wieder ausverkauft. 6000 Menschen haben sich aufgemacht, um dem prägendsten Basketballer der Klubgeschichte einen angemessenen Abschied zu bereiten.
"Die Menschen", sagt Paulding im Gespräch mit ntv.de, werde er am meisten vermissen, wenn er Oldenburg nach 15 Jahren erstmals verlässt, ohne zur Vorbereitung auf die neue Saison zurückzukehren. Was nach floskelhaften Abschiedsworten klingt, ist bei Paulding eine glaubhafte Liebeserklärung an seine Wahlheimat und die Menschen, die dort leben. Die niedersächsisch-unaufgeregte 170.000-Einwohner-Stadt passt zum 1,96 Meter großen Flügelspieler, der eine bemerkenswerte Gelassenheit und eine tiefe innere Ruhe ausstrahlt. Im September 2019 sagte er im ntv.de-Interview, seine Kinder würden in Deutschland freier leben können als in den USA. Er und Ehefrau Kara fühlen sich wohl in Oldenburg, ihre Söhne Tre und Sidney sowie Tochter Marleigh sind dort aufgewachsen.
Enkel springt spontan als Übersetzer ein
Gemeinsam mit Pauldings Mutter Virginia und seinem Bruder Ryan, die eigens für diesen Anlass angereist sind, stehen die fünf nach Spielende auf dem Parkett und blicken nach oben auf die riesigen Bildschirme über dem Mittelkreis. Highlight-Videos erinnern an die großen Momente der Ära Paulding. Mit ihm als Anführer gewannen die Oldenburger die zwei großen Titel ihrer Klubgeschichte, die Meisterschaft 2009 und den Pokal 2015, jeweils in eigener Halle. Es folgen Geschenke, Grußworte, Rickey-Paulding-Sprechöre, minutenlanger Applaus.
Paulding selbst hält eine kurze Rede, er hat sich auf diesen Moment vorbereitet. Er überzeugt lieber mit Leistung als mit großen Worten. "Ich war vorher ein bisschen nervös", sagt er anschließend, weil er nicht gewusst habe, "welche Emotionen das bei mir auslösen würde". Er weiß aber auch, dass es so an einem Abend dazugehört, dass derjenige ein paar Worte ans Publikum richtet, für den alle gekommen sind.
Seiner Familie dankt Paulding dafür, seinen Traum von Karriere als Basketball-Profi leben zu dürfen, dem Klub für das jahrelange Vertrauen, den Fans für ihre Unterstützung, seiner Mutter dafür, ihn in Abwesenheit des Vaters alleine großgezogen zu haben. Mehrfach ist sie zu Tränen gerührt, auch bei den anerkennenden Worten etwa vom langjährigen Hallensprecher Reinhard "Pepe" Nast, die ihr Enkel Tre simultan ins Englische übersetzt. Nast kommt nicht umhin, noch einmal gemeinsam mit den 6000 Fans ein dreifaches "Rickey! Paulding!" anzustimmen, wie es sonst nach erfolgreichen Dreipunktewürfen zu hören ist.
"Father time" ist unbesiegt
"Ich hätte es mir nicht schöner erträumen können", sagt Paulding anschließend zu ntv.de, während sich die Halle langsam leert. Der 39-Jährige, dem so viel Aufmerksamkeit immer etwas unangenehm zu sein scheint, wirkt zufrieden. Es ist die richtige Zeit, um aufzuhören. Immer wieder blitzt sein charakteristisches Lächeln auf, es ist ein einnehmendes, ein mitreißendes, weil sympathisches und zugewandtes Lächeln. "Ich bin froh, so etwas erleben zu dürfen", resümiert er den Abend, aber auch "froh, dass es vorbei ist."
Mit seiner Entscheidung, nach insgesamt 18 Jahren als Basketball-Profi aufzuhören, wirkt Paulding absolut zufrieden. Im Klub ist die Stimmung angesichts der einschneidenden Veränderung wehmütig, allerdings ist auch dort die oldenburgische Unaufgeregtheit unübersehbar: Irgendwann müssten eben selbst Legenden einmal Abschied nehmen - und dann doch lieber jetzt, solange er noch mithalten könne, als wenn schmerzhaft offensichtlich würde, dass "father time", wie in den USA die nachlassende Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter gerne bezeichnet wird, eben doch irgendwann jeden erwischt.
So aber spielt Paulding in seinem letzten Heimspiel noch einmal 30 Minuten, erzielt 18 Punkte, vollendet zwei krachende Dunks und sorgt auch mit vier Steals dafür, dass Oldenburg am Ende deutlich und ungefährdet mit 113:87 gegen Würzburg gewinnt. Michal Michalak legt dabei mit 15 Punkten, 11 Rebounds und 10 Assists ein in der Bundesliga höchst seltenes Triple-Double auf, das in den Feierlichkeiten zu Ehren der Nummer 23 aber etwas untergeht.
Fanclub-Vorsitzender sieht große Herausforderung
Diese Feierlichkeiten erleben schon vor dem Tip-Off ihren ersten Höhepunkt, als die 6000 Fans in der Arena die "größte Choreografie" zeigen, "die es bisher jemals in Basketball-Deutschland gegeben hat". So schreibt es der Fanclub Thunderstorm Oldenburg, dessen Name sich aus dem Spitznamen des Klubs ("Donnervögel") ableitet, auf dem Flyer, der auf allen Plätzen ausliegt. Auf 122 Plakaten haben dessen Mitglieder alle 117 Teamkollegen und die fünf Coaches verewigt, die Paulding in 584 Spielen für Oldenburg erlebt hat, auf einem mehr als 40 Meter langen Banner entlang der Haupttribüne steht: "15 Jahre Loyalität, Dreier, Dunks & Herzblut - Danke Rickey!"
"Für die meisten von uns", sagt der Thunderstorm-Vorsitzende Jannik Wiggers-von Staa im Gespräch mit ntv.de, "ist es so, dass sie die Baskets nur mit Rickey kennen." Er selbst trägt an diesem Abend stolz das Trikot, das Paulding in seiner ersten Saison in Oldenburg trug und das dieser ihm danach geschenkt hat. "Für mich ist er einfach das Gesicht der Baskets", spricht Wiggers-von Staa aus, was viele Basketball-Fans weit über Oldenburg hinaus denken. "Deshalb wird es eine ganz große Aufgabe für den Klub, für uns als Fanklub, dafür zu sorgen, dass dieser Oldenburg-Pauldingburg-Gedanke weitergetragen wird."
Diese Aufgabe zu lösen, ist eine Herausforderung. Einerseits müssen sich die EWE Baskets verändern, sportlich war die Saison im Abstiegskampf eine völlig verkorkste. Nach nur zwei Siegen aus den ersten 13 Bundesliga-Spielen musste Trainer Mladen Drijencic im Januar gehen, unter Nachfolger Ingo Freyer gelang zumindest der letztlich sichere Klassenerhalt. Andererseits soll von Paulding mehr bleiben als das Graffiti neben der Arena und das Trikot mit der 23, das beim offiziellen Abschiedsspiel Anfang Juni unter die Hallendecke gezogen und künftig nicht mehr vergeben wird.
Mehr BBL-Punkte als Follower
Danach geht es für die fünf Pauldings endgültig zurück in die USA. "Wir sind näher an der Familie", sagt Rickey, "das ist uns wichtig." Oldenburg aber wollen sie nicht hinter sich lassen, Besuche sind bereits angekündigt, außerdem haben die Kinder über die Jahre viele Freundschaften geschlossen. Für den 39-Jährigen scheint zudem denkbar, eine noch nicht näher definierte Rolle bei den Baskets zu übernehmen. Der Klub wäre schlecht beraten, dem ligaweit geschätzten und beliebten US-Amerikaner nicht zumindest eine Funktion anzubieten.
BBL-Legende Paulding im Gespräch "Kinder haben mehr Freiheit als in den USA"
Es ist fast ein bisschen schade, dass Pauldings Berühmtheit kaum über den deutschen Basketball hinausreicht. Wahrscheinlich ist ihm selbst das aber ganz recht, denn Angebote von größeren Klubs dürfte es seit seinem Wechsel nach Oldenburg reichlich gegeben haben. Die Geborgenheit in der Huntestadt, in der Paulding auch schon mal weitgehend unbehelligt mit seiner Familie durch die Innenstadt schlendern kann, war aber augenscheinlich größer als die Verlockungen dieser Offerten.
Am Ende dieses außergewöhnlichen Abends nimmt sich Paulding vielleicht auch deshalb noch einmal Zeit für seine Fans. Auf seinem Instagram-Account, dem ungefähr so viele Menschen folgen (7886), wie er selbst BBL-Punkte erzielt (7959) hat, scrollt er sich durch die zahllosen Fotos, auf denen er in den Stunden davor markiert worden ist und die Nachrichten, die er anlässlich seines letzten Heimspiels erhalten hat. Und antwortet mit kleinen Herzen, die dort als "Gefällt mir"-Reaktion üblich sind. So bescheiden und höflich, wie Rickey Paulding eben ist.